Landwirtin - ein Multi-Funktions-Talent?
Landwirtinnen sind ähnlich vielseitig wie das Schweizer Taschenmesser – quasi ein Multifunktionstalent! Tierhaltung, Acker- und Futterbau, Mechanisierung und Unternehmertum sind die Oberbegriffe von sehr tiefgehenden komplexen Themen, die uns innert 2 Jahren vermittelt wurden. Gerne nehme ich dich mit auf eine Reise durch meine Lehrzeit und zeige dir, was ich unter anderem so erlebt und gelernt habe…
Aber vorweg – es war nicht nur unglaublich lehrreich, sondern auch vor allem eins: Ultra-saumässig anstrengend! Und ich dachte noch, ich sei sportlich… Denkste! Ich war ein Jahr lang unter Dauermuskelkater und jeden Abend hundemüde ins Bett gefallen. Aber auch jeden Abend war ich stolz darüber, was ich getan, erreicht und gelernt habe.
Tiere und ihre Höhepunkte und schlimmsten Notfälle
Ich glaube Tiere zu halten ist vergleichbar mit Kindern haben. Ich habe keine Kinder. Aber so ähnlich stelle ich es mir halt vor. Der Hauptfokus ist der selbe: Es soll ihnen gut gehen! Wenn es ihnen gut geht, dann ist alles immer so schön und easy. Wenn es ihnen weniger gut geht, ist das purer Stress. Meist hauptsächlich für dich. Wenn du dann Stress hast und dir Sorgen machst, spüren das die Tiere auch. Hand aufs Herz, das ist bei Kindern wohl kaum anders, oder? Bei einem kranken Kalb gehst du stündlich wieder nachschauen, wie’s ihm geht. Schöppelst es, erklärst dem Tierarzt so genau wie möglich, was du beobachtest, gehst nachts nochmals raus und machst dir in jeder Minute Sorgen.
Ein paar spezielle Notfälle durfte ich auf meinem Lehrbetrieb miterleben. Eines war ein Beinbruch bei einem Kalb. Die Mutter ist aus Versehen auf ihr Baby draufgetrampelt. Noch im Stall haben wir es geröntgt.
Chef mit Röntgenschürze
Röntgenbild vom Beinbruch
fix-fertig-blau-gegipstes Kälbli!
ACHTUNG WENN DU KEIN BLUT UND SO SEHEN KANNST, GEHST DU LIEBER ZUM NÄCHSTEN BLOG-EINTRAG.
Klauenpflege: Anfangs der Ausbildung fand ich diese Klauen- oder auch Behandlungsstände unglaublich schrecklich. Heute sehe ich darin immer noch nichts Schönes darin, aber ich sehe es als die einzige Möglichkeit, ein rund 900kg Tier behandeln zu können. Denn Behandeln tut man nicht aus Spass Tiere zu plagen und Schmerzen zuzufügen, sondern um ihnen ihre tägliche Schmerzen zu lindern. Wir Landwirtinnen lernen anhand des Ganges der Kuh erkennen, woran das Tier leidet oder erkrankt ist. Richtig analysieren können wir aber erst im Behandlungsstand. Landwirte sind in der Lage, ihre Tiere selbst zu verarzten und zu verbinden. Je nach Ausmass ist der Beizug vom Tierarzt notwendig. Die Klauen richtig zu schneiden, lernten wir an Beinen von toten Tieren (Bild ganz rechts). Das war schon etwas sehr makaber. Aber definitiv besser, als Ultra-Laien, an lebendigen Tieren hantieren zu lassen! Das Klauen-Verbinden lernt man an der echten Kuh inklusive den Schlägen und Angst-Pipis. Vor ein paar Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich jemals zu so etwas fähig sein werde!
Auch Schafs- und Ziegenklauen müssen hin und wieder in Form gebracht werden.
Wer ist mehr Multifunktional? Taschenmesser oder Landwirtin?
Schon bevor ich Landwirtin werden wollte, wollte ich das Schweissen lernen. Und schau her, es blieb nicht beim Schweissen, auch Lackieren, Betonieren, Gewinde schneiden, Mauern, Plattenverlegen, Bodenplatten giessen, Holzarbeiten, Häuser renovieren, Fenster oder Türen einbauen, Boden verlegen, Wände täfern, Maschinen im Schuss halten oder Verbrauchsteile auswechseln und Service am Traktor vornehmen und vieles (wirklich sehr vieles) mehr haben wir in der Ausbildung gelernt. Du staunst? Glaub mir, ich auch!
Pflanzenbau: Nicht nur unterschiedliche Pflanzen, deren Entwicklungsstadium, deren Krankheiten oder Schädlinge lernte ich kennen, sondern auch die Bedeutung vom Boden und deren Bodelebenwesen. Wir wissen wie unverzichtbar unser Boden ist. Ohne fruchtbaren und gesunden Boden produzieren wir keine gesunden Lebensmittel. Wo es kranke Pflanzen gibt, ist es immer interessant den Boden genauer zu untersuchen. Nicht selten, findet man da auch da Hinweise.
Ich habe meinen ersten Baum gefällt. Und noch ein paar weitere. Damit habe ich meinen 1. Teil vom obligatorischen Holzerkurs absolviert und darf nun offiziell Bäume fällen – krass oder? Darf man so was jetzt in den Lebenslauf schreiben?
Früchte in den schönsten Formen und Farben! Reife Früchte, faule Früchte, parasitierte Früchte, das richtige Fingerspitzengefühl brauchst du neben viel Kraft und Energie als Landwirt eben auch!
Traktor steuern und gleichzeitig am Heck Maschinen bedienen = Multitasking-Skills wie ein Heavy-Metal-Schlagzeuger
So vielfältig die Landwirtschaft, so unterschiedlich auch deren Maschinen! Aber auch das wird schnell gelernt. Auf dem Feld der Kontur folgen und gleichzeigig beim rückwärts schauen hinten die Anbaumaschine bedienen. Dabei das richtige Tempo behalten und beim Steuern nicht vom Kurs abkommen!
Bereits wenn ein Landwirt “nur” Grasland hat - braucht’s eine Vielzahl an unterschiedlichen Maschinen: Mähwerk evtl. mit Knicker, Kreiselheuer, Schwader, Ladewagen, Motormäher, Güllenfass oder -verteiler, Düngerstreuer, vielleicht einen Heukrahn, Frontlader mit Beisszangen. Kommen Ackerbaukulturen dazu sind Pflug, Kreiselegge, Sämaschine, Striegel, Hackgerät, Feldspritze notwendig. Jede Maschine hat für unterschiedliche Kulturen unterschiedliche Einstellungen. Ist sicher nicht schlecht, wenn man den Kopf bei der Sache hat. Anfangs war das alles recht fordernd und heute eine tolle Abwechslung zum Hofalltag, wenn’s mal mit dem Traktor wieder aufs Feld geht.
Obstbäume schneiden
Der richtige Schnitt im Winter ist entscheidend. Es entscheidet, wie sich der Baum weiterentwickelt, kann Krankheiten reduzieren und steuern, wie viele Früchte und wie grosse Früchte am Baum wachsen werden. Warum müssen Bäume auch nur so hoch über Boden wachsen? Das war mit Höhenangst durchaus etwas bränzlig! Und das Treffen der Äste nicht so einfach. Blutige Finger gab’s entsprechend gratis dazu… Papa tröstet: “Du hast definitv Grossvaters-Gene - der hat sich auch stets in die Finger geschnitten”
Dann kommt da auch noch die Bürokratie ins Spiel.
Die Buchhaltung war auch ein grosser Teil. Schliesslich soll dein Betrieb ja nebst den immer teurer werdenden Maschinen immer noch rentabel bleiben. Umgang mit neuer Feldtechnologien, GPS Programmen oder Robotik rund ums Melken wurde thematisiert. Der Umgang mit Mitarbeitern, wie Rechte & Pflichten eingehalten werden müssen. In Freifächern vertiefte ich mich in pflanzlicher Medizin für Tiere, Direktvermarktung und Fleischproduktion und deren Vermarkung.
Wusstest du das es ein separates Recht für Bäuerliches Bodenrecht gibt? Daneben sollten wir Landwirte uns besser als jeder Konsument im Label-Dschungel auskennen. Jedes Label mit seinen Regulierungen und Vorschriften. Was ist IP SUISSE, wo unterscheiden sich Demeter und Bio. Bio und Bio Knospe? Darüber noch die Gesetzesbestimmungen. Die Aufzählungen führen ins Unendliche. Und wäre wohl ein nächster Blog-Eintrag wert.
Siehst du was ich meine mit dem Multi-Funktions-Talent? Worüber würdest du gerne mehr erfahren?